Mensch, ärgere dich doch

Heute möchte ich euch von einer Bekannten erzählen. Nennen wir sie Laura. Laura ist eine Seconda. Ihr italienisches Temperament ist spürbar in jeder Faser, in jeder Gestik. Auch ihr Aussehen lässt auf südländische Wurzeln schliessen. Bestimmt sind ganz viele Menschen beeindruckt ab ihrem Charme, ihrer Power und ihrer Schönheit. So stellte ich es mir zumindest immer vor. Bis sie mir erzählte, dass dieses Temperament sie sehr oft nerve. Ich war überrascht.

Sie erklärte weiter: «Wenn ich mich über etwas aufrege, wollen mich die Menschen nachher oft zu einem Entspannungskurs mitschleifen». Dabei wisse sie manchmal schon nach 5 Minuten nicht mehr über was sie sich zuvor aufgeregt hatte. Und noch bevor andere verstehen um was es bei diesem Hickhack genau ging, ist sie bereits beim nächsten Thema und hat vergessen was zuvor war. «Was stimmt nicht mit mir?» war ihre abschliessende Frage. Auch mein Intervenieren, dass mit ihr sehr wohl alles stimme, nützte nichts. Ich war frustriert. Sie sowieso.

Was stimmt also nicht mit Laura? Diese Frage beschäftigte mich noch ein paar Tage. Und als ich die Informationen alle verarbeitet und theoretisch geordnet hatte, musste ich plötzlich herzhaft lachen. Just in diesem Moment habe ich nämlich einiges verstanden. Nicht (nur) über Laura, nein, vor allem über mich. Und irgendwie war das gerade sehr versöhnlich.
Ich – Schweizerin durch und durch – habe vor ein paar Jahren einen DNA Test machen lassen. Spasseshalber. Weil das gerade so «in» war. Und ich staunte nicht schlecht, als dieser mir sagte, in meinen Genen sei über 34% Italienerin vorzufinden. Wo die herkommen (und ob das überhaupt stimmt) spielt jetzt für diesen Text keine Rolle. Viel wichtiger war für mich damals eine Erklärung zu haben, woher mein Temperament kommen könnte. Und irgendwie machte dieses Resultat für mich auch tatsächlich Sinn.

Nun dachte ich zurück an Laura. Und ich wusste: Wir sitzen beide im selben Boot. Wir haben darüber noch lange philosophiert. Darüber, dass all diese «Gspürsch-mi»-Anlässe langsam zur Mode geworden sind. Warum darf man nicht laut «Gopferd***» rufen und dabei mit der Faust auf den Tisch hauen, ohne dass man danach gleich zwangseingewiesen wird oder dir jemand mit Beruhigungstropfen vor der Nase rumwedelt? Und dabei geht’s mir wirklich haargenau gleich wie Laura. Gehört «Wut» und dessen Ausdruck heutzutage nicht mehr zum guten Ton? Ist es das? Ich weiss es nicht. Das fängt schon in der Schule an. Ist eins zu laut, ist eins zu wild heisst es gleich: da stimmt was nicht. Und wenn wir schon bei Kindern sind: Kürzlich sagte mir eine Mutter, ihr Kind dürfe nur dann zum Spielen kommen, wenn es in seiner Mitte sei... ja Prost Nägeli.

Ich fühle mich immer noch als durch-und-durch-Schweizerin. Egal was ein DNA Test mir sagt. Und mein Temperament lässt sich bei weitem nicht mit Lauras vergleichen. Dennoch kenne ich es zu gut, dass man mich oft falsch einschätzt. «Du bist immer so geladen» oder «atme doch mal durch» sind Sätze, die ich auch schon gehört habe. Und wenn mal nicht diese Weltverbesserer hinter einer Ecke lauern, dann kommen die Besorgten aus den Büschen: «Geits dir nid guet, du bisch so stiu?». Also fassen wir zusammen: Egal ob ich ausflippe oder mal eben nicht auf «160» fahre: Irgendwer hat immer was zu meckern. Und egal welche Spezies Mensch uns da gerade analysiert, in einem sind sie sich einig: «Du muesch düreschnuufe und dini Mitti sueche».

Dieser Text ist also für all jene, die mal ruhiger oder mal lauter sind und das ohne tiefgründige Bedeutung, denn:
- Nicht alle Menschen brauchen autogenes Training, um runterzukommen.
- Nicht jeder der sich aufregt benötigt eine «atme-doch-mal-in-den-Bauch»-Übung.
- Jeder wählt selber was er gerade braucht.
- Und nicht jeder der mal ruhig ist, hat gerade einen Menschen umgebracht oder die Scheidung eingereicht. Vielleicht ist das seine Art zu entspannen und vielleicht mag er auch einfach gerade nicht mit dir oder sonst wem diskutieren...

Ja, Entspannung ist gut. Zeit für sich zu haben ist absolut unbezahlbar. Gut in sich hineinzuhören und das zu tun was für einen selbst stimmt ist immer der richtige Weg. Und wenn dir eine indische, asiatische oder was auch immer für eine Lehre guttut, dann um Himmelswillen: tu es. Da gibt es ganz viele tolle und wirklich hilfreiche Sachen. Aber: Gewisse Menschen brauchen halt zwischendurch einfach nur «ein Gewitter». Und zwar genau so eins wie an einem besonders heissen Sommertag. So eins, wo danach alles so wunderbar gereinigt und die Luft unglaublich klar ist. Und so passierts eben auch in den Seelen von «Tschinggenschwestern». Und ich sag euch: Da kann Klangschalen-Hiphop imfau nicht mithalten, non ci piove.