Eine Kurzgeschichte aus dem Leben

Ort des Geschehens: Irgendein Public Viewing der Fussball Europameisterschaft 2024
Massenhaft Leute strömen in das eigens für die EM errichtete Riesenzelt herein und schnell wird klar, dass nicht alle einen Tribünenplatz ergattern können. Die Sonne brennt heiss vom Himmel und einerseits ist man glücklich, dass sich der Sommer nun endlich zeigt, andererseits erhitzt sich die Temperatur in diesem Zelt binnen Sekunden in saunaähnliche Zustände. Man sieht fröhliche und vorfreudige Menschen, aber auch viele hektische und genervte. Jeder will sich unbedingt einen Sitzplatz ergattern und drängt sich durch die Massen nach vorn Richtung Tribüne. Mittendrin stehen auch wir und ich spüre bereits, wie der Schweiss auf meinem Rücken seine Bahnen zieht. Die Hersteller dieser synthetischen Fussballleibchen stehen vermutlich gerade nicht hier in diesen Menschenmassen, sondern sitzen irgendwo im VIP-Bereich vor ihrem Cüpli, denke ich bissig. Und als wollte mich Karma zurechtweisen, rempelt mich gleichzeitig ein Betrunkener unsanft an und verteilt danach noch primitive Sprüche, die nun wirklich niemand hören will. Ich versuche, cool zu bleiben, würde aber am liebsten laut schreien. Innerlich bete ich, dass es bald schneller vorwärtsgeht und vor allem, dass wir einen Sitzplatz ergattern können, denn es war ein anstrengender Tag; meine Beine fühlen sich schwer an. Sehr langsam bewegt sich die Menschenschlange vorwärts, als ich auf einmal rechts von mir, ungefähr auf Höhe meinem Oberschenkel eine Bewegung wahrnehme. Ich blicke an mir runter und entdecke einen Mann im Rollstuhl. Er rollt in seiner Schweizer Fussball-Vollmontur an der Schlange vorbei, in Richtung eines barrierefreien Eingangs. Und während ich ihm nachschaue, werden meine ganzen Frustgedanken mit einem Mal weggewischt und ersetzt durch ein trauriges, aber demütiges Gefühl. Während wir uns hier alle nämlich sehnlichst einen Sitzplatz wünschen, wäre er vermutlich dankbar, er könnte stehen. Ein Perspektivenwechsel kann echt Wunder bewirken. Und so liess ich mich ohne weitere Erwartungen vorwärtstreiben und wusste, dass ich es mit Fassung tragen werde, wenn wir über 90 Minuten stehen müssen. Immerhin können wir es.
In diesem Sinne: Hopp Schwiiz.