Herz ist Trumpf

Vorletzte Woche traf ich mich mit einer Kundin. Sie hatte sich zuvor Informationen im Internet geholt und wusste deswegen bereits so einiges über mich und meine Arbeiten. Direkt nach der Begrüßung kam dann auch gleich diese eine Frage, die ich bereits gefühlt tausendmal gehört habe: „Sag mal, wie viele Stunden hat eigentlich dein Tag?“
Inzwischen habe ich noch ein paar Mal über dieses Gespräch nachgedacht. Ich finde es nämlich interessant, wie häufig man mich das fragt. Oft sind es auch ähnliche Aussagen wie: „Verrückt was du alles machst!“ oder „Wenn das jemand schafft, dann du!“. Und mein absoluter Lieblingssatz: „Du machst das sowieso mit links…“.
Nun könnte ich diesen Ruhm einfach ernten und genießen. Aber irgendwie fühlt es sich jeweils gar nicht so richtig nach „Kompliment“ an. Sehr oft hängt mit so einer Aussage auch so ein verstecktes „Du bist besser als ich“ oder „Du schaffst mehr als ich“ in der Luft. Und genau das stimmt halt einfach nicht. Mein Ziel ist es jedenfalls nicht besser zu sein als du, sondern lediglich besser zu sein, als ich es gestern war.
Ja, du hast schon recht: Ich bin in vielem richtig gut und habe einige fantastische Ressourcen. Ich bin zum Beispiel brutal schnell, schreibaffin, habe keine nasse Zündschnur und bin vielfältig einsetzbar. Ich bin sehr arbeitsam, verlässlich, oft sehr mutig, offen für Neues und fast immer spontan. Ich habe eine positive Einstellung zum Leben, bin handwerklich begabt und eine gute Zuhörerin. Ich bin ein Genussmensch, lösungsorientiert, leidenschaftlich und mein Gerechtigkeitssinn ist äußerst ausgeprägt. Mein Ideenreichtum ist grenzenlos, ich verblüffe und überrasche von Herzen gerne, bin äusserst grosszügig und bei mir gibt es keine „halben Sachen“. Mein Herz ist gross und die Kreativität wurde mir glücklicherweise in die Wiege gelegt... Dies, um nur einige Eigenschaften zu nennen.
Aber gleichzeitig bin ich eben auch furchtbar ungeduldig, kann nicht gut zeichnen und ich hasse basteln. Während andere die schönsten Kreationen erstellen, sieht meine immer aus als wäre eine Horde Kinder drüber gesprungen. Auch Geschenke kann ich nicht schön einpacken und ich kann mich nicht konzentrieren, sobald nur der kleinste Mucks nebenher hörbar ist. Ich kann das Alter der Menschen nicht erraten (also wirklich gar nicht!) und ebenso tue ich mich sehr schwer mit Distanzen schätzen. Fremdsprachen liegen mir nicht und immer wenn Hausarbeit ansteht, bin ich auf Knopfdruck murrig. Ich bin vergesslich und muss mir deswegen alles haargenau aufschreiben und ich habe Höhenangst und eine schlimme Spinnenphobie. Meine Schrift ist saumässig grusig, mein Helfersyndrom bringt mich immer wieder an meine Grenzen und ich kann manchmal nicht schweigen, obwohl ich genau weiss, dass ich es in dem Moment tun sollte… Dies, um wieder nur einige Eigenschaften zu nennen.
Weisst du, ich bin sehr oft müde. Manchmal bin ich auch heillos überfordert und sehe vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Aber in solchen Situationen greife ich dann eben gerne auf meine „Ressourcen“ zurück und finde so immer einen Weg. Der Weg ist nicht immer gut oder manchmal auch weit weg von perfekt; aber es ist nie eine Sackgasse. Und weisst du noch was? Wir alle haben diese „Ressourcen“. Sie sehen einfach nicht bei allen gleich aus, aber sie sind da. Es ist Zeit, dass auch du dir dieser bewusst wirst.
Ja, ich schaffe es vielleicht manchmal drei Aufträge gleichzeitig zu stemmen und dabei mit kreativen Lösungen und den passenden Worten zu jonglieren. Du hingegen hast dafür vielleicht das schönste Adventsfenster dekoriert, das coolste Kostüm für deine Kinder genäht, eine wunderschöne Geburtstagskarte von Hand geschrieben und gemalt oder mit regionalen Produkten den leckersten Kuchen gebacken, den die Menschheit je gegessen hat. Alles Dinge die mir nicht besonders gut gelingen würden und wofür ich dich aufrichtig bewundere.
Und jetzt… merksch öppis?
Im Leben kommt es doch nicht immer darauf an, ein gutes Blatt in der Hand zu halten, sondern vielmehr mit schlechten Karten gut zu spielen. Und wenn du bereit bist Lösungen zu suchen, dann wirst du sie finden.
Und hey, noch was zum Schluss: Wenn alle Stricke reissen, kann man sich ja auch beieinander Hilfe holen. „Füreinander da sein“ heißt das Zauberwort. Einander quasi „sein Können ausleihen“. Meine Türe steht jedenfalls offen. Und ich freue mich, wenn ich auch bei dir mal anklopfen darf. Von Mensch zu Mensch. Von Herz zu Herz.