Bevor ich den Löffel abgebe

Letzte Woche hatten mein Mann und ich ein Gespräch, das sehr plötzlich ins Philosophische abdriftete. Und alles begann eigentlich ganz simpel mit folgendem Spruch:

«Geniesse deine Zeit, denn du lebst nur jetzt und heute. Morgen kannst du gestern nicht nachholen und später kommt früher als du denkst.»

All’ die vielen schlauen Sprüche werden fast täglich irgendwo gepostet oder verschickt. Man liest sie, nickt manchmal, denkt vielleicht sogar kurz darüber nach und vergisst sie dann aber wieder. Bestenfalls nimmt man sich vor dem Vergessen noch einen Vorsatz, aber meistens ist auch der schnell wieder «weg». Jedenfalls solange es einem gut geht - ist es nicht so?

Der Höhepunkt unserer Diskussion war erreicht, als wir folgender Tatsache auf die Schliche kamen: Wenn du jung bist, hast du grosse Träume. Weite Reisen und verrückten Taten, um nur zwei zu nennen. Meist fehlt dir aber das Geld dazu und darum lässt man es oft gezwungenermassen bleiben. Du wirst älter, verdienst inzwischen besseres Geld und hast dir im Idealfall auch schon ein Polster zur Seite gelegt. Dann hast du auf einmal keine Zeit mehr für deine grossen Träume, weil du noch mehr Geld verdienen willst oder musst. Vielleicht hast du dir inzwischen zwar den Traum von Familie und/oder Haus erfüllt, merkst aber sehr schnell, dass das a) viel Geld kostet und b) es viel von deiner Zeit frisst. Du wirst also älter oder gar pensioniert und hast auf jeden Fall plötzlich ganz viel Zeit (auch wenn Rentner gerne mal das Gegenteil behaupten). Doch vielleicht bist du körperlich nicht mehr fit genug, krank oder im schlimmsten Fall stirbst du.
Ende der Geschichte.

Nun sassen wir also am Tisch, mein Mann und ich, beide mit einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch und trotzdem voller Tatendrang und verträumten Herzen. Ich erinnerte mich dann daran, dass wir schon oft versuchten meine Schweigereltern (beide ü80, gesundheitlich noch sehr fit) zu überreden, eine Reise zu tun. «Geht und erobert die Welt» versuchten wir Ihnen aufzuschwatzen. Meist lächeln sie nur darüber. Sie lassen sich zwar gerne für diesen oder jenen neuen Ort begeistern, aber effektiv ist das «viel Erleben» im Alter nicht mehr so zentral. Viel lieber bleiben ältere Menschen zu Hause und verbringen im Idealfall die Zeit mit ihrer Familie. Ausnahmefälle gibt es natürlich immer.

Und so fragten wir uns also: Was tut man jetzt mit einer solchen Einsicht? Wir stecken gerade noch mitten in der «Kinder und Haus fressen Zeit und Geld»-Phase. Wenn unsere Kinder mal alle ausgezogen sind, werden wir bereits mit grossen Schritten auf die Pension zusteuern. Was wenn wir dann gesundheitlich angeschlagen sind? Wenn wir vielleicht zu Hause bleiben müssen. Für mich schien das unvorstellbar und es machte mich auch ein bisschen traurig. Doch dann hatten wir eine Idee…

Sicher kennt ihr alle den Begriff «Bucket List». Eine «Bucket List» ist eine Liste mit Dingen, die man vor seinem Tod noch (oder nochmal) erleben möchte. «Bucket List» kommt vom Englischen «kick the bucket» und heisst auf Deutsch übersetzt «den Löffel abgeben». Daher wird sie auch oft «Löffelliste» genannt. Und jetzt Achtung: Solche Listen werden meist dann aufgestellt, wenn man eine sehr negative Krankheitsprognose bekommen hat. Quasi: Dinge, die ich tun möchte, bevor ich den Löffel abgebe. Ist das nicht irre? Leute, ernst jetzt: Wieso warten wir mit Dingen, die man noch erleben möchte, bis wir «krank» (oder alt) sind? Wir leben doch im Hier und Jetzt und sollten die Einmaligkeit unseres Lebens nicht nur schätzen, sondern auch in vollen Zügen geniessen. Und sind wir ehrlich: Wer weiss schon ob wir überhaupt «alt» werden?

Und da war er, der Moment wo wir nullkomaplötzlich wussten was wir mit dieser Einsicht tun müssen: Wir erstellen eine «Bucket List»! Und wer jetzt einen wahnsinnigen Fallschirmsprung erwartet oder eine Reise zu Fuss zum Ende der Welt, den muss ich enttäuschen. Unser erster Punkt auf der «Bucket List» sieht aktuell einen Tanz im Regen vor…

Wenn unser Plan aufgeht, werden wir uns im Alter an die vielen großartigen Dinge erinnern, die wir alle erlebt haben. Und im Idealfall werden wir gesund und glücklich «die Zeit geniessen, die uns noch bleibt». Also eigentlich genauso, wie wir es ab jetzt auch tun werden.