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Ehe für alle

Wir waren süsse sechzehn als ich dich an einer Waldparty weinend unter einem Baum sitzend vorfand. Ich musste lange auf dich einreden, bis du endlich ausgespuckt hast, was dir auf dem Herzen liegt. Es sei ein unlösbares Problem, hast du mir einleitend gesagt und dabei rumgedruckst, bis du gemerkt hast, dass ich nicht nachgeben werde. Und da sagtest du drei magische Worte, die mich einen kurzen Moment sprachlos machten: „Ich bin lesbisch“.

Seit einigen Jahren waren wir dicke Freundinnen. Schrieben uns 2-3 x wöchentlich Briefe und waren so – wie man es heute per Socialmedia tut – immer auf dem Laufenden, was beim anderen gerade passiert. Über diese „Sache“ wusste ich nach all den Jahren bis dahin noch nicht Bescheid. Und ich war irgendwie schockiert, auch wenn ich rückblickend eigentlich selbst hätte draufkommen können. Die einzigen Worte, die ich damals dann noch herausbrachte, waren: „Eh, das chunnt de scho guet…“. Und über diese Reaktion hast du mich dann noch viele Jahre aufgezogen. Im Jahre 1993 war Homosexualität halt noch nicht in aller Munde, wie das heute der Fall ist. Emu nicht in diesem Kaff, wo wir damals wohnten. Und ich war zugegeben heillos überfordert mit der Situation. Es dauerte einige Zeit, bis ich wieder klar kam mit dieser Neuigkeit. Und danach konnte ich für dich da sein. So wie es sich für eine richtige Freundin halt gehört.

Als du deine Lehre abgeschlossen hattest, eröffnetest du mir eines Tages, dass du jetzt nach Zürich zügeln würdest. Ich war sehr traurig, denn Zürich war für mein Empfinden viel zu weit weg. Aber ich wusste tief im Herzen, dass es für dich das Richtige war. In der „grossen Stadt“ konntest du endlich so leben, wie du es wolltest. Du musstest dich nicht mehr „verstecken“. Nicht vor der Familie, vor Freunden und auch nicht unter Fremden. Es verging nicht viel Zeit, als du mir deine erste Freundin vorgestellt hast und als diese Beziehung in die Brüche ging, trocknete ich deine Tränen per Brief, später dann per E-Mail oder SMS. Mehrmals besuchte ich dich in Zürich und du schlepptest mich sogar einmal in eine dieser „Lesbenbars“, um mir zu zeigen, wo du dich an den Wochenenden jeweils aufhältst. Deine Augen leuchteten dabei und du hast gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd. Ich wusste schon damals, dass wir „auf dem Land“ noch viel lernen müssen…

Vor 12 Jahren hast du dir das Leben genommen. Obwohl unter Städtern die Homosexualität hauptsächlich akzeptiert wurde, war dir wohl doch alles zu viel und der Druck zu gross. Deine Psyche war von deiner Kindheit und der schwierigen Jugendzeit angeschlagener, als wir alle dachten. Es zerreißt mir noch immer das Herz, dass jemand sein Leben beendet, obwohl er/sie eigentlich nur eines wollte: zu lieben und geliebt werden.

Wir schreiben heute das Jahr 2021. Wenn man bedenkt, wie schnell sich alles wandelt und sich die Dinge modernisieren frage ich mich, warum es immer noch Leute gibt, die nicht akzeptieren können, dass eine Frau eine Frau oder ein Mann einen Mann lieben kann. Ich habe miterlebt, wie sehr meine Freundin gelitten hat, weil sie verspottet, weil sie mit Hasskommentaren bombardiert und weil sie schräg angeschaut wurde. Sie erlebte immer wieder Hass, dafür dass sie jemanden liebt. Das will mir einfach nicht in den Kopf.

Am 26.9.2021 stimmen wir in der Schweiz über ein neues Gesetz ab: Ehe für alle. „Eh, das chunnt de scho guet“ ist imfall total veraltet und „ein unlösbares Problem“ darf eine Liebe nie sein. Drum bitte ich euch aus tiefstem Herzen „JA“ zu stimmen. Schlimm genug, dass wir überhaupt darüber abstimmen müssen, denn wer hat das Recht zu urteilen, wer wen zu lieben hat? Love ist Love.

Und sowieso: Wer immer nur schwarz/weiss denkt, kann nie einen Regenbogen sehen… aber i wott nüt gseit ha.